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Channel: G. Wie Journalisten informieren – Das neue Handbuch des Journalismus
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Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right

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Tagesschau ParisGeduld soll der Zuschauer haben. Geduld, wenn bei einem Länderspiel Explosionen zu hören sind und online die ersten Nachrichten über Attentate zu lesen sind. Geduld, fordert Tagesschau-Sprecher Udo Stiehl, als heftige Kritik an der Langsamkeit der ARD in den sozialen Netzwerken zu lesen war. Als ob der Nutzer von Facebook & Co noch Geduld hätte: Das Netz hat ihn zur sofortigen Nachrichten-Aufnahme dressiert, unverdaut, aber schnell, nur schnell.

„Da ist er nun passiert, der so genannte K-Fall (Krisen-Fall)… und die Erwartungen an die Medien sind unerfüllbar hoch… so viele absurde Forderungen habe ich noch nie gelesen“, schreibt Stiehl leicht zornig im Tagesschau-Blog: „Terrorismus in Paris – und eine unerfüllbare Anspruchshaltung“. Stiehl ist – erstaunlich – erstaunt, ja verwirrt über die heftigen Reaktionen in Twitter und auf Facebook. Das erstaunt: Stets nach schockierenden Ereignissen bricht eine solche Kritik über ARD und ZDF herein, aber auch über die meisten anderen Medien.

Stiehls Reaktion ist teilweise devot, teilweise realistisch:

  • Devot: Wenn er die Sportreporter, die das Länderspiel moderierten, in Schutz nimmt, aber ihnen auch journalistische Kompetenz abspricht: Die Moderatoren hätten sich auf das Spiel konzentriert – „und nun müssen die Kollegen plötzlich über Entwicklungen berichten, die nicht vorhersehbar sind“.
    Journalismus hat stets mit dem Nicht-Vorhersehbaren zu tun, und es ist eine Frage der Professionalität, damit schnell und kompetent umzugehen. Sind Sportjournalisten Fachidioten, die alles, was nicht rund ist, überfordert? Nein, meint Stiehl, und schreibt das Gegenteil: „Die Kollegen vom Sport sind Journalisten, aber sie haben sich – verständlicherweise – nicht zusätzlich auf eine Krisenberichterstattung vorbereitet.”
    Als ob sich Attentate und Katastrophen  per Telefon zu normalen Redaktionszeiten ankündigen, damit sich Journalisten darauf vorbereiten können!
  • Realistisch: „Es kann nur noch improvisiert werden.“ Dabei bleiben die Grundsätze seriösen Journalismus unangetastet: Recherche und gesicherte Informationen. „Aber das dauert! Und diese Geduld müssen nicht nur wir aushalten, sondern auch Sie“, schreibt Stiehl.
    Seriöse Medien brauchen Zeit, um die Wahrheit zu erkunden – anders als im Netz. „Auf sämtlichen Kanälen können Spekulationen stattfinden“, so Stiehl, „ohne dass es Fakten bedarf. Aber ist das Journalismus? Reicht Ihnen das aus? Ich hoffe nicht. Ohne journalistische Überprüfung, ohne redaktionelle Bearbeitung und ohne intensive Recherche ist das alles nicht mehr als Voyeurismus. Und das kann es doch nun wirklich nicht sein.“
    Also: „Wer verlässliche Berichterstattung wünscht, braucht vor allem eines: Geduld. Und wer die nicht aufbringen möchte, weil er glaubt, Journalisten könnten hexen, zaubern oder sonstige Wunder vollbringen, dem können wir – ganz ehrlich – nicht helfen.“

Und so schwach, wie die Kritiker meinen, war die ARD nicht: Nach dem Länderspiel gab es eine kurze Tagesschau-Sonderausgabe mit dem ersten Bericht der Frankreich-Korrespondentin; es folgten weitere Sonderausgaben. Am nächsten Abend schmiß die ARD das gesamte Abendprogramm um und zeigte Informationen und Analysen statt eines Spielfilms.

Stiehls Hinweis ist richtig: Das Fernsehen lebt von Bildern. Nur: Wenn es die nicht gibt, reichen Sätze, als Laufband ins laufenden Programm eingeblendet, so wie es an Wahlabenden passiert, wenn der Ausgang unklar ist und der „Tatort“ läuft.

Oder die Zentrale blendet kurz einen Sprecher ein, vielleicht in einem kleinen Fenster, der die wenigen Fakten von den vielen Gerüchten trennt, um Geduld bittet, aber den Zuschauern das sichere Gefühl gibt: Wir sind dabei, wir recherchieren – und wenn ihr dabei bleibt, bekommt ihr wirkliche Informationen!

Darauf könnte man sich vorbereiten. Und mit den Sportjournalisten müsste man trainieren: Das ist nichts Ungewöhnliches, weder  im Sport und im Journalismus.

Unantastbar bleibt das eherne Gesetz des Journalismus, das in Nachrichtenagenturen jedem Praktikanten am ersten Tag eingebimst wird: Be first, but first be right. “Sei der Erste, aber der Erste, der’s richtig bringt” – So steht es auch im Nachrichten-Kapitel des “Neuen Handbuch des Journalismus” auf Seite 116.

Nachtrag: ARD-Moderator Matthias Opdenhövel twittert: “Danke für Schlaumeierkritik aus D. Tut gut nach so einer Nacht im Auge des Terrors.”

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Screenshot Tagesschau


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